Die Republik Österreich exportiert ihre Kultur, Kunst, Wissenschaft, Geschichte, Politik und Welteinstellung in die europäischen Länder und in die Welt mittels diverser offizieller Einrichtungen; in der Tschechischen Republik gehören dazu die Österreichische Botschaft in Prag, das Österreichische Kulturinstitut in Prag, das Netz der Österreich-Bibliotheken in einigen Städten Tschechiens, die Österreich- Lektorate an tschechischen Schulen und Universitäten, das Programm „Aktion“ u.a.m. Eine neue Verbindungslinie zu Österreich entstand, indem die seit 1997 in der Germanistik in Olmütz existierende Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur in „die Familie der – vom Österreichischen Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung unterstützten – Österreich-Zentren“ aufgenommen wurde. Das Olmützer Österreich-Zentrum ist hiermit das achte; es stieß 2013 als jüngstes Mitglied zu der Gruppe der bereits existierenden Zentren in Minnesota und New Orleans in den USA, Alberta in Kanada, der Hebräischen Universität in Jerusalem, und den drei europäischen Zentren in Leiden, Budapest (Andrassy University) und Wien. Das österreichische Wissenschaftsministerium gründet die Österreich-Zentren nicht auf grüner Wiese, sondern verleiht das Label an Institutionen, die sich mit österreichischen Schwerpunkten seit Jahren erfolgreich beschäftigen. Für die Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur, die in Olmütz seit fast 20 Jahren das deutschmährische Schrifttum als genuinen Bestandteil der österreichischen Literatur- und Kulturtradition erforscht, ist die Ernennung zum Österreich-Zentrum einerseits eine Anerkennung ihrer wissenschaftlichen und öffentlich wirksamen Validität, zugleich ist sie ein Ansporn und ein idealer Ausgangspunkt zur Ausweitung und Vertiefung ihrer Aktivitäten.
Das deutschsprachige Schrifttum in Mähren:
In den Böhmischen Ländern gab es in den letzten Jahrhunderten ein reichhaltiges deutsches Schrifttum. Es ging nicht nur um die renommierte Prager deutsche Literatur, die bereits ein etablierter Begriff in der europäischen Literaturgeschichtsschreibung ist. Auch deutschsprachige Texte aus Mähren haben Manches zu bieten: Mit Mähren sind Namen verbunden wie etwa Charles Sealsfield, Marie von Ebner-Eschenbach, Jakob Julius David, Robert Musil, Ernst Weiß, Hermann Ungar, Hugo Sonnenschein, Walter von Molo, Edmund Husserl, Ludwig Wittgenstein, Adolf Loos, Gustav Mahler, Leo Fall, Alfred Brendel u. a.
Nach 1945 wurde (bis auf Ausnahmen) von der Existenz der deutschsprachigen Kultur und der deutsch geschriebenen Literatur aus dem Territorium Böhmens, Mährens und Schlesiens geschwiegen. Eine wissenschaftliche Behandlung dieser Literatur gab es beinahe nicht, die deutsch geschriebene Literatur aus den erwähnten Ländern konnte nicht auf eine Popularisierung in den Medien oder in den Schulen hoffen. Die tschechoslowakische Historiographie gab sich viel Mühe, die auch nur geringste Erinnerung an das deutsche bzw. österreichische Element der mitteleuropäischen Kultur aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verdrängen. Die Perspektive des beschränkten tschechischen Deutschenhasses, die vom rückgewandten politischen Regime noch forciert wurde, zeigt sich heute größtenteils als überwunden, der Anteil der deutschsprachigen Künstler und Literaten an der Kultur der Böhmischen Länder wird heute nicht mehr bestritten und gilt als legitimes wissenschaftliches Thema.
1998 gründeten Ludvík Václavek, Lucy Topoľská und die um eine Generation jüngeren Kollegen Ingeborg Fialová und Jörg Krappmann an der neu aufgebauten Germanistik in Olmütz ein wissenschaftliches Institut, das sich zum Ziel gesetzt hat, sich im Allgemeinen mit der Geschichte der deutschmährischen Literatur und der sie umgebenden Kultur auseinander zu setzen.
Diese Zielsetzung lag seit längerem nahe, denn Mähren gehört zu den Gebieten, deren Kultur bis 1945 durchaus polynational resp. -ethnisch war. Die deutschsprachige Kultur spielte hier wie auch in Böhmen eine bedeutende Rolle.
Die Gründer der Arbeitsstelle stießen auf fruchtbaren Boden. Da die Olmützer Literaturhistoriker Václavek, Topoľská und Chytil in der Zeit der „Normalisierung“ (wie die meisten Prager und Brünner Kollegen auch) von der europäischen Forschung, ihren Themen und Entwicklungen völlig isoliert waren und beschränkte bzw. gar keine Publikationsmöglichkeiten hatten und da ihnen in dieser finsteren Zeit „große“ Themen untersagt wurden, widmeten sie sich verstärkt der deutschen Literatur aus Olmütz, der Olmützer Umgebung sowie aus ganz Mähren und Böhmen. Sie sammelten einen reichen Fundus an Wissen und Fakten, der geradezu danach rief, festgehalten und veröffentlicht zu werden.
Die Gründung der Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur gab dieser Tätigkeit einen offiziell-institutionellen Rahmen und ermöglichte es, mehrere Kollegen und Studenten des Magister- und Bachelorprogramms für diese spannende Entdeckungsarbeit zu engagieren. Somit wahrt die Arbeitsstelle die für eine Universität typische Doppelfunktion, verbindet organisch Forschung und Lehre. Es entstand ein breites Kollektiv von Forschern, das sowohl aus bewährten und versierten Wissenschaftlern als auch aus Adepten der Literaturwissenschaft und -geschichte besteht. Diese Zusammensetzung des Forscher-Teams garantiert eine Ausbildung im unmittelbaren Forschungsprozess: Für sehr viele Studenten stellen die Erfahrungen mit der Recherche- und Quellenarbeit den ersten Kontakt mit dem wissenschaftlichen Alltag dar. Unter der Ägide der Arbeitsstelle publizieren Studenten und Doktoranden ihre ersten wissenschaftlichen Arbeiten. Diese Aktivitäten haben auch eine hohe Dynamik der Forschung und eine allgemein hochmotivierte und heitere Wissenschaft zur Folge.
Die Ergebnisse der unermüdlichen Arbeit von vielen Mitgliedern der Arbeitsstelle waren bald zu sehen. Die Datenbank der deutschsprachigen Autoren, welche nach ersten Schätzungen einen Textkorpus von höchstens 200 deutschmährischen Autoren bot, vergrößerte sich bald deutlich: In der Datenbank der Arbeitsstelle finden sich heute bereits um die 2000 Namen. Der erste Höhepunkt der Forschung und Sammlertätigkeit war 2003 die Herausgabe des Lexikons deutschmährischer Autoren, in dem etwa 120 Schriftsteller in Einzeldarstellungen festgehalten sind und das, als „work in progress“ angelegt, bereits 2006 eine Ergänzung um weitere 80 Artikel erfahren hat. Als „work in progress“ muss selbstverständlich auch die Quellendatenbank der Arbeitsstelle betrachtet werden, die kontinuierlich ergänzt und erweitert wird. Teilweise liegt sie auch elektronisch vor und steht somit der breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung.
Das Institut beschränkt sich jedoch nicht auf Sammel- und Archivierungstätigkeiten. Gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Germanistik organisiert die Arbeitsstelle Konferenzen und Foren zum Thema der deutsch geschriebenen Literatur auf dem Territorium Mährens und Böhmens sowie zum Thema der sog. Regionalliteraturen. In der kurzen Zeit ihrer Existenz veranstaltete das Institut bereits an die zwanzig solcher Veranstaltungen (mit), an denen bekannte Wissenschaftler aus In- und Ausland teilnahmen. Diese Konferenzen führen Expreten zusammen und dienen einer breiteren Kontextualisierung der Ergebnisse aus der Primärforschung. Die Ergebnisse dieser Treffen sowie der Forschungsarbeit sind in vielen Publikationen, Sammelbänden aus den Konferenzen sowie gedruckten Dissertationen, Lexika und Nachschlagewerken festgehalten, welche mit der Unterstützung der Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur erscheinen.
Das Institut leistet jedoch darüber hinaus massiv Öffentlichkeitsarbeit, v. a. zum tschechischen Publikum hin, das von der deutschen Vergangenheit und Kultur des eigenen Landes nicht viel weiß und häufig nicht viel wissen will. Ausstellungen, Lesungen, Vorträge, Rundfunksendungen sowie Übersetzungen von wertvollen Texten der deutschmährischen Autoren setzen es sich zum Ziel, die erwähnten Lücken zu füllen. Ohne Rücksicht auf politisch sowie historisch begründete Ressentiments und Vorurteile macht die Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur durch ihre Tätigkeit und durch ihre Ergebnisse auf die Mehrschichtigkeit und Differenziertheit der mitteleuropäischen Kulturgeschichte aufmerksam und trägt somit auch zu ihrer Entdogmatisierung bei.