Gerhard Wanitschek

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„Wo ist meine Heimat…Kde domov můj…?“ So mag sich manchmal Gerhard Wanitschek gefragt haben wie die böhmische Magd in ihrem Lied, das Rainer Maria Rilke uns in seinem Gedichtzyklus „Larenopfer“ überliefert hat. Vielleicht hat  das Lied der 1932 Geborene  Gerhard schon als Kind gesungen. Es war schon in der Ersten Republik die Nationalhymne und sie wurde auf Tschechisch, Slowakisch, Deutsch und Ungarisch gesungen. Gerhard hat die Heimatfrage eindeutig durch sein Leben beantwortet. Heimat war für ihn die Kommune Hardheim und seine Familie aber auch Mährisch Schönberg mit dem Kröneshof bei Weikersdorf.

Gerhard Wanitschek war seit Januar schwer erkrankt. Auf eine Operation musste er länger als vier Wochen warten. Wahrscheinlich kam sie zu spät. Monate zwischen Hoffen und Bangen. Als das Leiden ihm unerträglich wurde, bat er im Vaterunser in Deutsch und in Tschechisch, der Sprache, die ihm sein Großvater gelehrt hatte, um Erlösung. Sie wurde ihm gewährt. Gerhard starb nach langer schwerer Krankheit in der Frühe des 1. Oktobers im Alter von 84 Jahren, umsorgt von seiner Frau Hildegard.

Als Gerhard Wanitschek bereits 79 Jahre alt war, begegnete ich ihm bei einer Ausstellung der Stadt Šumperk/Mährisch Schönberg in der Patenstadt, die zur Partnerstadt geworden war, in Bad Hersfeld. Er leistete wichtige Übersetzungsarbeit für die Administration seiner Schönberger Heimatstadt. Wie wir gemeinsam feststellten, hatten wir teilweise ähnliche Wurzeln. Sein Großvater stammte wie meine Großmutter aus dem böhmischen Zerhof/Crhov bei Schildberg. Etwa am Ende des 19. Jahrhunderts kamen sie in das deutschsprachige Schönberg und heirateten deutsche Partner. Eine deutsch-tschechische Symbiose wie in nahezu allen Sprach- Grenzgebieten der Kronländer Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien. Gerhard wurde mein Lehrmeister in Heimatgeschichte, und ein Freundschaftsverhältnis entwickelte sich. Seine tschechischen Sprachkenntnisse und seine Neugierde hatten ihm geholfen, in Jahren seines vorzeitigen Ruhestandes enormes Wissen in der Heimatgeschichte sich anzueignen. Unterstützt von den Historikern František Spurny und Drahomír Polách hatte er nach der „Samtenen Revolution“  monatelang im Schönberger Heimatmuseum und Kreisarchiv geforscht. Gleichzeitig war er im Heimatkreis Mährisch Schönberg gemeinsam mit Ilse Dörr und Willi Daschke tätig, bis die Hardliner des Heimatkreises, Witikonen und Ignoranten, eine Verständigungspolitik  mit den Tschechen zu hintertreiben versuchten. Ohne den Heimatkreis entstand eine deutsch-tschechische Gesellschaft für Verständigung. Gerhard wirkte im Vorstand mit  und es gelang, das Begegnungszentrum Geschader Haus aufzubauen und die verfallene Klosterkirche zu restaurieren. Dass heute die in der kommunistischen Zeit entweihte Klosterkirche vom Bistum Olmütz wieder zu katholischen Messfeiern zugelassen worden ist, verdanken wir  vor allem Gerhard Wanitschek. Motiviert durch Kindheitserlebnisse mit jüdischen Alterskameraden war die Erforschung der Geschichte der Juden in der Stadt Schönberg sein Arbeitsschwerpunkt. Aber auch die praktische Arbeit war dem gelernten  „Schlosser“, wie Gerhard sich gern in „understatement“ (Untertreibung) bezeichnete, nicht fremd. Tatkräftig  half er bei der Restaurierung des Jüdischen Friedhofes in der Hohenstädter Straße mit. Den Judenstern auf dem Dach der Eingangshalle zum „bet olam“ (Haus der Ewigkeit), wie der Friedhof im Hebräischen heißt, hat er selbst verfertigt. 2013 erhielt er den „Viktor Dostal Preis“ der Stadt Šumperk/Mährisch Schönberg, nachdem er bereits im Jahr zuvor den Elie Wiesel Preis vom Verein „Respekt a Tolerance“ (Mohelnice/Müglitz) für seine Erforschung und seine Beiträge für die Geschichte der jüdischen Bewohner der Region erhalten hatte. Gemeinsam gelang es uns, in Klosterneuburg und Wien etwas über den Schönberger Priester und Widerstandskämpfer Roman Karl Scholz in Erfahrung zu bringen. Eine Gedenktafel am Eingang des ehemaligen Gymnasiums in Mährisch Schönberg/Šumperk erinnert seit drei Jahren an den Dichter und Märtyrer Roman Scholz. Noch vor wenigen Tagen konnte ich Gerhard eine Bitte erfüllen. Ich besorgte ihm für den Diakon von Hardheim eine Auswahl  aus dem Werk von Roman Scholz. Auf Gerhards Initiative war das Buch  von dem Lehrstuhl für Germanistik an der Palacký-Universität Olmütz 2014 herausgegeben worden. Bis vor wenigen Wochen hoffte Gerhard, an der Verleihung des „Hans (Johnny) Klein“ Preises am 26. November 2016 für Deutsch Tschechische Verständigung in Mährisch Schönberg/Šumperk  teilnehmen zu können. Man wird bei der Feier sicher auch Gerhard Wanitschek gedenken.

Der Stadthistoriker Drahomír Polách und  die mit der Heimatgeschichte vertraute Autorin Evá Hudcová aus Olmütz /Oloumuc schreiben in einer Kurzmitteilung u.a.: „Der Verlust ist groß, so wie Gerhards Verdienste um Šumperk, er wird hier nicht vergessen werden, und sein Vermächtnis wird weiterleben.“ Und Ludek Stipl, der Leiter des Vereins „Respekt a Tolerance“ in Müglitz/Mohelnice sagt: „Mr. Wanitschek wird immer bei uns sein. Er gab uns so viele Informationen über Schönberg und die Geschichte der dortigen Juden. Es hat Freude gemacht, mit ihm zu arbeiten, z.B. bei der Erstellung der Ausstellung Ordinary People in Extraordinary Times (Einfache Menschen in einer außergewöhnlichen Zeit). Unsere Ausstellung  wird schon seit drei Jahren an vielen Schulen Mährens gezeigt…“ Und 14 Tage  vor seinem Tod haben die Gremien der Stadt Šumperk/Mährisch Schönberg beschlossen, Gerhard Wanitschek die Ehrenbürgerwürde zu verleihen.

Gerhard Wanitschek brauchte keinen Doktortitel, um anerkannt zu sein. Die Leserinnen und Leser von „Mein Heimatbote“ werden seine Beiträge vermissen. Mir hat er geholfen, die Heimat meiner Kindheit wiederzugewinnen. Sein Tod ist schmerzhaft wie erneuter Heimatverlust.

Walter Exler

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